emmanuel martinez one day cigar roller panama caribbean

Ein Tag im Leben von Emmanuel Martinez

Morgens hat Emmanuel Martinez keinen Augenblick Zeit. Jede Sekunde ist verplant. Während die Nachbarschaft, in der er lebt, zum Bellen von Hunden und Krähen von Hähnen erwacht, steht er auf, duscht sich, zieht sich an und verlässt das Haus als topgepflegter junger Mann.

 

Und all das innerhalb von 15 Minuten. Wir schließen die Vordertür und verlassen das villenartige, unvollendete Haus, in dem er gemeinsam mit seinen zwei Brüdern wohnt und in dem sich aus irgendeinem Grund eine Fülle von mexikanischen Souvenirs und Postern aus Alaska an den Wänden des Wohnzimmers befindet.

emmanuel martinez panama caribbean cigar factory

Photo: Fredrik Svensson

Bunte Hüte und Maracas teilen sich den vertikalen Raum im Haus mit Bildern von Robben, Bären und Weißkopfseeadlern. Rund um uns sind noch überall die Terrassenbeleuchtungen eingeschaltet, als wir die Straße hinunter in Richtung Pan-American Highway gehen. Emmanuel grüßt alle Leute, denen wir begegnen, mit auffälligem Stolz, und kurz vor 6 Uhr 30 treffen wir bei der Bushaltestelle ein. „Ich bin jeden Tag zur gleichen Zeit hier“, meint er lächelnd. „Es ist alles auf die Sekunde genau kalkuliert.“

Der 24-Jährige begann vor vier Jahren als Zigarrenroller in der Panama Caribbean-Zigarrenfabrik zu arbeiten – einer der wenigen, wenn nicht sogar der einzigen seriösen Fabrik des Landes. Nachdem die Zigarrenkultur in Panama nicht annähernd so prominent ist wie in vielen seiner Nachbarländer, wusste Emmanuel nichts über Zigarren, bevor er seine Arbeit in der Fabrik startete. „Ich hatte null Ahnung, und das gilt im Grunde genommen auch für all meine Kollegen. Ich kenne nicht einmal jemanden, der Zigarren raucht.“

Es ist sehr zeitaufwendig, das endgültige Deckblatt einer Torpedo anzubringen.

Er arbeitete auf der Farm seiner Eltern, die Maisanbau betrieben, bevor ihm sein derzeitiger Job empfohlen wurde und er nahm ihn an, um damit sein Universitätsstudium zu finanzieren. Derzeit studiert er Englisch, und so bringt ihn Fabrikbesitzer David Reynaga an drei Abenden in der Woche mit dem Auto in die nahegelegene Stadt David, wo Emmanuel einen fünfstündigen Englischkurs besucht, was bedeutet, dass er erst gegen 11 Uhr abends nach Hause kommt.

„Ich mache das jetzt seit einigen Monaten und würde gerne im Tourismusbereich arbeiten, zum Beispiel am Panamakanal oder als Fremdenführer in einem Hotel. Nachdem viele Ausländer dieses Land besuchen, sind die Möglichkeiten größer, wenn man Englisch kann. Dadurch ist es einfach leichter, einen gutbezahlten Job zu bekommen.“

Zeiteffizienz am Morgen

Ein paar Minuten später stoppt ein Minibus und wir steigen ein. „Es gibt andere Busse auf meiner Route, aber die sind stets mit Studenten gefüllt und deshalb komme ich hierher,“ erklärt Emmanuel. Der Bus ist tatsächlich nicht sehr voll und nach zehn Minuten steigen wir in der Nähe eines Platzes im Zentrum von La Concepción aus.

emmanuel martinez portrait rolling panama caribbean cigar factory

Photo: Fredrik Svensson

„Hier kaufe ich täglich mein Frühstück“, sagt er und bestellt Kaffee, ein gegrilltes Schweinskotelett und eine Art frittierten Maisteig bei einem kleinen Imbisswagen an der Ecke. „Ich frühstücke während meiner ersten Pause um 9 Uhr 30.“ Wir spazieren zur Bushaltestelle zurück und nehmen denselben Bus, der aus irgendeinem Grund noch nicht abgefahren ist, hinauf zur Fabrik. Es ist Punkt 7 Uhr als wir dort eintreffen. „Sehen Sie, ich bin immer pünktlich“, meint er und abermals macht sich ein charmantes Lächeln auf seinem Gesicht breit.

Nachdem er sich eingestempelt hat, nimmt er sofort seinen Platz ein und beginnt zu arbeiten. Er setzt Kopfhörer auf und startet mit dem Zigarrenrollen. Die Interaktion zwischen den Mitarbeitern hält sich anfangs in Grenzen und Emmanuel scheint sich, wie auch alle anderen, unverzüglich seinen Aufgaben zu widmen. „Wenn mir der Buncher eine Zigarre überreicht, überprüfe ich, ob die Ränder in Ordnung sind. Wenn nicht, gebe ich sie ihm zurück, damit er das ausbessern kann. Danach bringe ich das Deckblatt an, das letztlich für das Erscheinungsbild der Zigarre verantwortlich ist.“

Laut Emmanuel stellt das Rollen einer Torpedo den schwierigsten Teil seiner Arbeit dar. „Es ist sehr zeitaufwendig, das endgültige Deckblatt anzubringen, weil man den Kegel am Ende machen muss“, erklärt er, während er mit einem kleinen Stück Deckblatt einen Kreis an der Spitze formt und damit ein einwandfreies Exemplar im Torpedo-Format fertigstellt.

In der Fabrik herrscht eine sehr entspannte Atmosphäre. Ein Ventilator sorgt für eine dringend notwendige Brise in dem ansonsten feuchten Umfeld, und Risse in der Styropordecke deuten auf das ungenutzte Obergeschoss dieser ehemaligen Textilfabrik hin. In einem großen Lagerraum im hinteren Bereich der Fabrik findet man Tabake und weggeworfene Zigarren zwischen verstreut herumliegenden Kartons und alten Maschinen.

Der Besitzer schlendert dahin, während die Angestellten leise plaudern, Musik hören und generell gut miteinander auszukommen scheinen. „Alle Leute hier haben ein gutes Herz. Aber wir wohnen in verschiedenen Gegenden und treffen uns deshalb nicht außerhalb der Arbeit. Dennoch sind sie wie eine zweite Familie für mich“, sagt Emmanuel.

Gott ist alles

Gegen Ende des Tages steigt der Gesprächspegel. Hitze und Luftfeuchtigkeit sind stärker geworden und es ist offensichtlich, dass der Arbeitstag zu Ende geht. Um 4 Uhr nachmittags stempelt Emmanuel aus. Zuvor bittet uns David Reynaga noch, ein Foto seiner Belegschaft zu machen. Alle Mitarbeiter begeben sich nach draußen und posieren vor der Fabrik, was die Atmosphäre noch eine Spur herzlicher und entspannter als zuvor macht.

emmanuel martinez portrait home from work panama caribbean cigar factory

Photo: Fredrik Svensson

Gemütlich spazieren wir 15 Minuten durch eine farbenprächtige, üppig bepflanzte Wohngegend, die karibische Stimmung vermittelt, bis zum Stadtzentrum. Nach zwei kurzen Stopps in einem Schuhgeschäft und einer Eisenwarenhandlung nehmen wir den Bus zurück in Emmanuels Stadtviertel Veinti Enero, was übersetzt 20. Januar bedeutet.

„Ich weiß nicht, wieso diese Gegend so heißt. Es muss wohl ein wichtiges Datum sein“, meint er mit dem typisch selektiven Interesse eines jungen Mannes. Montag bis Mittwoch stehen Englischkurse auf dem Programm, aber heute ist Donnerstag und das bedeutet Zeit zum Relaxen. „Manchmal besuche ich einen Freund und bleibe eine Weile, ansonsten gehe ich einfach nach Hause und verbringe Zeit mit meinen Brüdern.“

emmanuel martinez relaxing at home panama caribbean cigar factory

Photo: Fredrik Svensson

Freitag und Sonntag jedoch sind für die Kirche reserviert. Emmanuel gehört der evangelischen Kirche an und diese stellt – gelinde gesagt – einen sehr wichtigen Teil seines Lebens dar. „Gott ist alles. Ohne ihn wären wir nichts und wir sind ihm für unser Zuhause und unsere Familie zu Dank verpflichtet. Ich bin ein ruhiger Mensch und habe keine Laster. Ich rauche nicht und pflege einen respektvollen Umgang mit anderen Leuten.“

Er besorgt Limonade, Fleisch und ein paar andere Dinge, bevor wir zu seinem Haus zurückkehren, das als Schauplatz für ein gruseliges B-Movie dienen könnte, wenn es nur ein wenig größer wäre. Die Fassade ist nur halb fertig und innen hängen Drähte von der Decke. In einem Zimmer im Obergeschoss fehlt ein Teil des Bodens und damit wäre es die perfekte Kulisse für den endgültigen Showdown in einem Hitchcock-Film. Nichtsdestotrotz ist es ein nettes Haus in Besitz von Emmanuels drittem Bruder. „Wenn es fertig ist, wird es herrlich sein“, meint er.

„Wo ist meine Antenne?“

Seine Brüder sind daheim und schauen fern, als wir das Haus betreten. Emmanuel geht in die Küche, schenkt uns ein Glas Limonade ein und lässt sich danach eine Zeit lang auf dem blumigen Sofa neben seinen Brüdern und einem Freund der Familie, der auf Besuch ist, nieder. Nach einer Weile trifft Leonardo, der dritte Bruder und Hausbesitzer, ein.

Es stellt sich heraus, dass er Englisch spricht und auf einem Kreuzfahrtschiff gearbeitet hat. Mit einem Mal machen die vielen Alaska-Poster und Reisesouvenirs auch Sinn und es ist ziemlich offensichtlich, woher Emmanuels Inspiration und sein Verlangen, Englisch zu lernen, stammt.

Jede Nacht lege ich mich hin und höre christliche Musik.

Er führt uns in sein Schlafzimmer, wo er gewöhnlich ein bisschen relaxt, bevor er tatsächlich zu Bett geht. Es hat zu regnen begonnen und die Hühner im Hinterhof suchen Unterschlupf, während die Tropfen, die auf das Ziegeldach fallen, den Regen stärker klingen lassen, als er in Wirklichkeit ist.„Wo ist meine Antenne?“ fragt er und blickt sich im Zimmer um. „Jede Nacht lege ich mich hin, höre christliche Musik und bete eine Weile, bevor ich schlafen gehe.“ In einer Ecke hängt sein Gewand auf einem Seil, das von einer Seite der Wand zur daran angrenzenden gespannt ist. „Oh, hier ist sie!“ ruft er triumphierend, nachdem er einen Kleiderhänger unter dem Bett gefunden hat.

emmanuel martinez relaxing at home dream of alaska

Photo: Fredrik Svensson

Er steckt ihn in ein kleines Radio, dreht es auf und christliche Musik erfüllt den Raum. „Und das ist meine Bibel“, fährt er fort und zeigt uns ein winziges Buch mit einem selbstgestalteten Cover, das ein Bild eines kleinen Mädchens zeigt, das wohl aus einem Kinderbuch ausgeschnitten wurde.

„Jeden Tag danke ich dem Herrn, dass er mir und meiner Familie einen weiteren Tag geschenkt hat. Wenn man sich manchmal nicht so gut fühlt, dann findet man in der Suche nach Gott wieder Mut und fühlt sich besser in Gottes Obhut.“

Wir verabschieden uns, als sich Emmanuel fertigmacht, um zu Bett zu gehen und eine ungestörte Nachtruhe – überwacht von einer höheren Macht – zu genießen, bevor ihn ein weiterer 15-Minuten-Morgen zeitlicher Präzision und Routine auf einen neuen Arbeitstag vorbereiten wird.

Und all das wegen des Strebens nach einem Job, der Englischkenntnisse erfordert – vielleicht auf einem Kreuzfahrtschiff mit Kurs auf Alaska? Weiß Gott!

 

Dieser Artikel wurde in der Cigar Journal Frühjahres-Ausgabe 2014 veröffentlicht. Mehr

Nachdem Simon Lundh 2005 sein Ingenieursdiplom in Vermessungstechnik erwarb, entschied er sich für eine journalistische Laufbahn. Er entdeckte die Welt der Zigarren während er für eine nichtstaatliche Organisation in Estelí, Nicaragua, arbeitete und verdient seinen Lebensunterhalt nun größtenteils mit Artikeln über Zigarren, Metal Music und Tattoos sowie Reiseberichten.


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